Dienstag, 18. Oktober 2016

Vorgeschichte Kapitel 9

9. Ein wasserdichter Plan

Deirdre


Na ganz einfach, ich hab mich aus dem Haus geschlichen nachdem Mommy mich ins Bett gebracht hat und bin meinem Dad heimlich nachgelaufen! Natürlich so dass er mich nicht gesehen hat! Direkt nachdem Deirdre die Antwort auf Arjuns Frage - wie sie hierher gekommen war- abgesendet hatte, sah sie auch schon wie unten auf dem Bildschirm ihres Smartphones das Zeichen erschien das verdeutlichte dass er zu tippen begonnen hatte.
Woah Arjun war ja wirklich schnell im lesen! Und er dachte wohl gar nicht über seine Antwort nach. Ob er wohl schon damit gerechnet hatte dass sie zum Haus dieses Verbrechers laufen würde um ihre 'Tante' zu retten? Möglich, seine Antwort war aber ganz und gar nicht das was Deirdre gerade lesen wollte. Es klang viel eher als wolle er ihr das ausreden! 
"Geh sofort wieder Nachhause, der Mann ist gefährlich!", las sie sich leise flüsternd die Nachricht vor, schürzte die Lippen und tippte eine kurze Antwort. Genau genommen bestand sie sogar nur aus neun Worten. Nein. Kommst du jetzt oder muss ich allein gehen?
Ja Deirdre hatte definitiv vor Lucy zu retten und wenn Arjun ihr nicht helfen wollte würde sie das eben alleine machen. Sie hatte sich sogar schon einen Schlachtplan überlegt. Das würde ganz sicher funktionieren.
Vorsichtig lugte sie aus ihrem Versteck, einem sehr großen, kratzigen Busch mit roten Herzchen Blättern, hervor und lauerte auf das moderne Haus am Ende der Straße. Es waren nur ein paar Fenster erleuchtet, allerdings bedeutete das auch, dass er noch wach war. Das war gut! Wobei es auch gut gewesen wäre wenn er geschlafen hätte, weil dann hätte sie versucht das Schloss zu knacken.



Sie hatte sich extra im Internet darüber informiert! Sie hatte sich einen Browser runtergeladen und installiert mit dem man anonym blieb und sich ins Darknet eingewählt. Dabei hatte sie sich richtig kriminell gefühlt! Aber man musste eben tun was man tun musste wenn man jemanden retten wollte. Natürlich hatte sie ihre Spuren danach verwischt, ihre Eltern würden sich sonst nur wieder Sorgen machen oder sie schimpfen. Sie würden sie sicher schimpfen. Egal wie das ausging. Aber Deirdre tippte einfach darauf, dass sie zu erleichtert sein würden sie lebend wieder zu haben um ihr lange böse sein zu können.
Ja sie hatte das alles ganz genau geplant! Immerhin mochte sie es auch nicht gerade geschimpft zu werden. Und vor allem ihr Vater war da ja einer von der ganz übervorsichtigen Sorte. Und von der überemotionalen scheinbar auch so wie er sie das letzte Mal angebrüllt hatte. 
Mittlerweile war ihr auch klar warum er das getan hatte. Aber Arjun war nicht irgendein komischer Perverser und Deirdre war nicht so dumm als dass sie sowas nicht erkannt hätte. Wirklich was dachte er eigentlich von ihr? Nur weil sie noch so jung war, hieß das nicht, dass sie gleich bei jedem verdächtigen Typen ins Auto stieg nur weil der ihr Süßigkeiten hinhielt! Mal ganz davon abgesehen traf sie sich mit Arjun für gewöhnlich auch nur unter Menschen und nie vollkommen allein.
Aber egal, darum ging es jetzt wirklich nicht. Es ging hier darum Lucy zu retten! Um alles andere konnte sie sich auch wann anders Gedanken machen. Den Blick wieder auf ihr Handy richtend fixierten ihre klaren Augen sofort auf das kleine Icon in der oberen linken Ecke. 
Offensichtlich hatte Arjun ihr geantwortet. Mit einer hochgezogenen Augenbraue betrachtete sie die Zahl über dem Icon ihres Messengers die anzeigte wie viele Nachrichten sie hatte. Sieben Stück. Also jetzt übertrieb er aber doch ein wenig.
Verdammt Deirdre das ist viel zu gefährlich!
Deirdre! Du bist doch nicht etwa jetzt wirklich da rein?!
Jetzt antworte doch bitte! Das ist gefährlich tu das nicht! Bitte!
Oh mein Gott du bist echt rein oder?
Warte ich komme bald zu dir okay? Ich muss nur irgendwie rauskommen! Eine Stunde! Gib mir eine Stunde!
Bitte Deirdre, schreib mir dass du noch nicht zum Haus bist.
Ich werd zu deinen Eltern gehen wenn du mir nicht sofort zurückschreibst!
Sie seufzte lautlos und verdrehte die Augen. Also jetzt übertrieb er aber wirklich. Als ob der Typ sie gleich umlegen würde oder so nur weil sie mal Hallo sagte. Nicht dass sie wirklich nur hallo sagen wollte aber das stand nun wieder auf einem anderen Blatt.
Sie sah schon wieder das Zeichen dass Arjun zu tippen begann und machte sich schnell daran selbst eine Antwort zu geben. Sofort verschwand das Symbol und sie konnte regelrecht vor ihrem inneren Auge sehen wie er erleichtert ausatmete. Würde wohl nicht allzu lange halten die Erleichterung.


Ich hab keine Zeit ne Stunde hier zu sitzen, am Ende bemerken meine Eltern bis dahin dass ich weg bin und haben mich schon gefunden! Ich geh sofort, ist wahrscheinlich eh besser wenn so ein kleines Mädchen alleine geht. Dann fühlt er sich sicherer! Also bis später dann, mach dir keine Sorgen wenn ich ne Weile nicht antworte, ich muss mich konzentrieren!
So und jetzt senden. Perfekt. Die Antwort kam innerhalb von Sekunden.
WEHE!
Süß, er hatte sich sogar die Mühe gemacht in Großbuchstaben zu schreiben. Aber das würde sie sicher nicht aufhalten in ihrer Rettungsmission. Niemand klaute ihr ihre Tante. Zu spät, bin schon unterwegs. tippte sie noch schnell während sie sich bereits aus dem Gebüsch schälte und gemächlich über die Straße auf das Gebäude zu tapste.
Sie sah dass sie noch eine Nachricht erhalten hatte als sie einen kurzen Blick auf ihr Handy Display geworfen hatte, steckte das Mobilphon allerdings ohne sie gelesen zu haben in ihre Tasche - nicht ohne den Akku vorher entfernt und in eine geheime Tasche ihres Geheimagenten Outfits gesteckt zu haben - und tippte auf die metallische Klingel.
Sie hörte nicht das leiseste Geräusch und dachte schon die Apparatur wäre kaputt, als das Licht hinter den Scheiben aufflammte und wenige Augenblicke später die Tür langsam aufgeschoben wurde. Sofort erkannte sie den Brünetten mit dem vielen Metall im Gesicht als den Kerl aus dem Park wieder und war sich damit sicher hier richtig zu sein. Mit einem irritierten Blick sah der junge Mann auf sie herab, hob leicht eine Augenbraue und schien darüber nachzudenken was das kleine Mädchen vor seiner Tür zu suchen hatte.


Innerlich vor Stolz platzend sah sie aus großen Augen zu ihm auf und schenkte ihm einen ängstlichen, unglücklichen Blick wie ihn nur Kinder zustande brachten die sich verlaufen hatten, während sie in weinerlichem Tonfall schniefte: "Ich.. ich hab mich verlaufen... und... und ich weiß nicht wo meine Mommy ist..." Sie drückte sich ein leises Schluchzen heraus, wischte sich mit einer Hand über die Augen und starrte ihn wieder mit herzzerreißendem Blick an.
Das kurze Stirnrunzeln irritierte sie zwar einen Augenblick doch als der Typ vor ihr in die Hocke ging, so dass ihre Gesichter sich auf einer Höhe befanden wusste sie dass er ihr die Geschichte abkaufte. Er lächelte sie sogar etwas schmal an als er ihr antwortete: "Ist das so? Haben Kinder in deinem Alter heutzutage nicht alle ein Handy dabei in dem die Nummer ihrer Eltern eingespeichert ist?"
"Mein Handy... ist mir runter gefallen... und der Akku... der Akku....", brachte sie unter ein paar Schluchzern hervor, schniefte abermals und fuhr dann nach einem schweren, erstickten Einatmen fort: "Der Akku ist in den Gulli gefallen! Und jetzt weiß ich gar nicht... wie ich meine Mommy... wieder finden soll... kannst du mir nicht helfen Onkel...?"
Sie bemühte sich ihren kindlichsten, herzzerreißendsten Blick aufzubringen und schaffte es sogar ein wenig auf die Tränendrüse zu drücken. Vielleicht sollte sie lieber eine Karriere als Schauspielerin anstreben statt Informatik studieren zu wollen. Auf Knopfdruck weinen konnte nicht jeder.


Zu funktionieren schien es ebenfalls. Der Mann betrachtete sie zwar noch ein paar Herzschläge auf eine merkwürdige Weise forschend, erhob sich dann allerdings wieder und trat mit einem Schritt zur Seite um eine einladende Geste ins Haus zu machen. "Na schön, dann komm erstmal rein und wir versuchen deine Eltern zu erreichen." Das amüsierte Funkeln in seinen Augen registrierte Deirdre zwar, konnte sich allerdings keinen Reim darauf machen. "Dürfte ich mir in der Zwischenzeit vielleicht dein Handy ansehen? Vielleicht habe ich einen Akku der rein passt."
Er streckte ihr auffordernd die Hand entgegen als sie an ihm vorbei ins Haus tapste und natürlich angelte das kleine Mädchen den gewünschten Gegenstand sofort aus ihrer Tasche um ihn ihm zu reichen. Sie wollte ja nicht dass er noch Verdacht schöpfte.
Wie zu erwarten gewesen öffnete er das Handy rasch, geleitete sie zeitgleich allerdings weiter durch den weitläufigen Vorraum und direkt in das dunkle und in Rottönen eingerichtete Wohnzimmer.
Einladend deutete er auf das Sofa, bat ihr mit einem abermals schmalen Lächeln an: "Setz dich doch während ich nach einem Akku für dein Handy suche." Zögerlich nickte sie und tapste brav, mit nach wie vor weinerlichem Gesichtsausdruck, zum Sofa um sich darauf niederzulassen. 
Mit großen Augen und gespielt ängstlich unsicherem Blick beobachtete sie wie der Brünette das Zimmer verließ, die Tür angelehnt lassend, und scheinbar nach oben ging. Sie konnte die Treppenstufen hören. 
Am liebsten wäre sie sofort aufgesprungen und hätte das Zimmer durchsucht, zwang sich allerdings dazu noch kurz zu warten bis sie sicher war, dass er oben und außer Hörweite war. Kaum war sie sich dessen gewiss, sprang sie vom Sofa und begann alles abzusuchen. Den Boden, die Sofaritzen, hinter die Kissen und auch Regale durchsuchte sie. Sie schaute sogar in das Schränkchen unter dem großen Aquarium!


Was sie dort fand, ließ sie die Stirn runzeln. Eine Pistole. Warum hatte er eine Pistole in dem Schränkchen? Er fütterte seine Fische ja wohl kaum damit. Kurz zögerte sie, nahm die Waffe dann allerdings an sich und legte sie auf die hinterste Ecke des Tischchens. So weit von der Tür weg und so nah bei sich wie möglich während sie sich daran machte das Fach unter dem Tisch zu durchsuchen.
"Na wonach suchst du denn Deirdre?", erklang plötzlich die kühl aber doch irgendwie amüsiert klingende Stimme eines ganz gewissen, brünetten Verbrechers. Erschrocken zuckte die Rothaarige zusammen, angelte nach der Waffe und ignorierte das Gefühl ihres in die Hosen gerutschten Herzens. Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte sie ihn nun an, sah das schmale, deutlich belustigte Lächeln auf seinen Lippen und schaltete erst einige Sekunden später. 
Wie hatte er sie genannt? Sie hatte ihm ihren Namen doch gar nicht verraten... woher wusste er wie sie hieß. Das konnte er doch unmöglich so schnell herausgefunden haben! Er machte Anstalten dazu in den Raum zu kommen, blieb allerdings stehen als Deirdre mit der Pistole auf ihn zielte.


Als sie die Sicherung der Waffe mit einer eindeutig wissenden Bewegung löste wurde das kühle Lächeln in seinem Gesicht eine Spur breiter. "So ein schlaues Mädchen. Woher weißt du denn wie man eine Pistole entsichert und richtig hält?"
"Das werde ich dir ganz bestimmt nicht sagen! Wo hast du Lucy versteckt! Sags gleich weil mit mir ist nicht zu spaßen! Und ich werde sie auch ganz sicher ohne deine Hilfe finden!" Leise und kalt wie ein Kühlschrank lachte der Kerl und trat nun doch ohne groß weiter zu zögern auf sie zu. Offensichtlich hatte er keine Angst. Im Gegensatz zu Deirdre deren Herz hämmerte als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich. Und es hatte offensichtlich auch nicht vor sich zu beruhigen.
Sie hatte natürlich nie vorgehabt auf ihn zu schießen, sie hatte viel zu viel Angst dass sie durch den Rückstoß der Pistole aus Versehen die falsche Stelle traf und entweder ihn tötete oder durch einen Querschläger sich selbst. Ja sie hatte sich wirklich genau informiert. Aber sie hatte eben darauf gehofft dass er damit rechnete, dass sie ein kleines ängstliches Kind war das versehentlich aus der Panik heraus schoss.
Da hatte sie sich wohl gründlich getäuscht und jetzt kam er ihr mit gemächlichen Schritten immer näher. Ein Schritt, zwei Schritte, drei, dann vier und schon stand er vor ihr, ging wieder in die Hocke und griff nach dem Schaft der Waffe.
Viel zu gelassen richtete er sie ohne sie ihr aus der Hand zu nehmen auf seine Brust und raunte ihr schmal und auffordernd kühl lächelnd zu: "Na was ist? Möchtest du nicht abdrücken?"


Ihre Hände begannen zu zittern - wie konnten sie nur! Diese Verräter! - während ihr Blick regelrecht versteinerte. Sie konnte nicht schießen. Unmöglich. Sie könnte niemals jemanden umbringen, egal wie gemein und böse der war. 
"Das dachte ich mir."
Bekam sie da prompt und in zufrieden amüsierter Tonlage zurück als der Brünette ihr auch schon die Waffe einfach aus der Hand nahm. Sie wehrte sich nicht dagegen, starrte nur auf seine Hände als er ihr zeigte dass das Magazin leer war. Ihr wurde kalt. Eiskalt. Als wäre sie in einen Kübel Eiswasser geworfen worden.
Beiläufig platzierte er die Waffe neben sich auf dem Tisch, ließ Deirdre dabei allerdings nicht aus den Augen, legte seine Arme daraufhin auch nur locker auf seine Oberschenkel. In kaltem Tonfall, vom Lächeln nun nichts mehr in seinem Gesicht zu sehen, stellte er klar:
"Das war sehr dumm von dir."

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